SZ, 20./21. April 1996
Menschen in München
Mit anarchischem Klamauk gegen das Morgen-Grauen
Radiomoderator Markus Langemann reißt täglich mit einer Mischung aus Chaos und heiler Welt die Stadt aus dem Schlaf
VON NICO RICHTER
Bekanntlich ist die heile Münchner Weit besonders brav und langweilig. Der leidgeprüfte Bürger glaubt es und schaltet sein Radio an, worauf sich eine Truppe ‚gegen das organisierte Verschlafen‘ meldet. Dann wütet wieder die meistgehörte Radioshow der Republik und schmeißt die Stadt aus dem Bett. Die biederen Münchner kommen mit Anarchie in Schwung.
Die Metropole verdankt die unsanfte Kunst des Weckens einem Herrn, der sichtlich stolz ist, 200 000 Hörern täglich den grausamen Akt des Aufstehens zu versüßen, gleichzeitig aber Erleichterung bekundet, daß seine Angehörigen weit, weit weg wohnen; da müsse er sich nicht ,bei der Oma rechtfertigen‘, das mache ihn frei im Kopf. Seine Oma könnte tatsächlich etwas verstört reagieren; vor kurzem noch wurden aus Kostengründen Witze aus dem Billiglohnland Taiwan ausgestrahlt, weshalb tagelang nur chinesisches Geplapper gefolgt von hysterischem Gelächter zu vernehmen war.
Markus Langemann, 31, ist Anführer der Morgencrew mit Bully, Heinz Praktikant, Holgi Fahrradkurier und ist mit seinem Blödsinn auf Radio Energy ein Popstar geworden. ‚Vom Mutterleib neben einen Transistor gefallen‘, übte er sich schon mit 13 beim Radio, wirkte als Reporter bei Print und Fernsehen, studierte Diplom-Journalistik in München und hat jetzt der Albernheit in München zu höheren Weihen verholfen. Während übliche Morgenmoderatoren sich darauf beschränken, ein paar witzige Meldungen aus der Klatsch-Spalte vorzulegen, inszeniert Aufputscher Langemann ein ganzes Spektakel der akustischen Art. Der Journalist hat seinem früheren Leben den Rücken gekehrt: ‚Wir müssen unsere Pointen schneller auf den Punkt bringen. Fakten Fakten, Fakten brauchen wir überhaupt nicht. Wir machen unsere Hörer lieber wach.‘ Wenn er Aktuelles überhaupt einbaut, dann in kleinen Liedchen zum Beispiel über Boxkämpfe: ‚Nasenbein und Kiefer bricht / Doch das schadet dem Konto nicht.‘

Für die Massen senden
Könnte er als Journalist mit Hang zum Lustigen womöglich mit anspruchsvollem Kabarett, reüssieren? Lieber nicht, ‚da freuen sich dann ein paar Intellektuelle und arbeitslose Lehrer, die Taxi fahren‘, stellt sich der Stratege vor; vermutlich fehlt ihm dazu auch die Bissigkeit und der Zynismus eines Harald Schmidt. Langemann will für die Massen senden und ein ‚Urbedürfnis‘ des Menschen befriedigen: ‚Frühmorgens möchte kein Mensch angeödet werden‘, lieber mit ‚einem Schmunzeln‘ aufstehen, um die Unbilden des frühen Tages zu vergessen, weshalb es den Herrn auch nicht wundert, daß Intellektuelle jeden Alters zu seiner Hörerschaft gehören. Herr Langemann steht also um vier Uhr auf und grübelt schon beim Zähneputzen darüber, ‚was die Menschen heute beschäftigt‘. Wer die Menschen mit ihrem Wunsch nach guter Laune nicht liebe, der stünde diesen ‚körperlich erschöpfenden‘ Job eh nicht lange durch - der Selbstdarsteller hat einen 17- Stunden-Tag.
‚Ich steh im Stau und hör die Morgenschau / Wie jeden Tag, ertrag ich diesen Quark‘, hört München. Langemann paßt haarscharf in jene Generation von Komikern, die mit zunehmender Blödheit immer mehr Erfolg haben, seien es die Doofen, Stefan Raab, Helge Schneider oder Ray Cokes. Er hat erkannt, daß es zum Lachen keiner intellektuellen Legitimation bedürfe: ‚Lachen um des Lachens Willen ist erst im kommen‘, lautet seine Zeitgeist-Diagnose. Er selbst kichert gern über den Fußgänger, der sich nach einem Mädchen umschaut und gegen den Laternenmast rennt. Bescheuert ist er deswegen genausowenig wie seine Hörer, und in der Sendung empfindet er sich als ‚Bandleader‘, der den Klamauk organisiert und vor dem endgültigen Abrutschen ins Chaos bewahrt.
Humor ist ein Markt, und daß hinter dem Morgen-Spinner der Geschäftsmann steckt, ist ja hin und wieder angemerkt worden. Der clevere Spaßvogel mit Krawatte und Hosenträgern produziert seine Sendung selbst, vermarktet sie im Internet und mit Fanartikeln, spricht vom ,durch und durch strategischen Produkt‘ und von der Arbeit, die er in dieses Konzept gesteckt habe. Mit seinen drei Kumpeln hat er einen ‚Output‘ von 6000 Pointen im Jahr, die meisten geplant, ein paar improvisiert. In seinem Büro lehnt er sich zurück und stellt fest, daß das schon ein ganz schön anstrengendes Handwerk sei, für einen wie ihn vor allem, der sogar zu faul ist, ‚den Müll mal runterzutragen'.
Der Reiz am Radio sei, daß man ein Theater im Kopf der Hörer erzeugen könne. Radio ist Langemanns Medium, und er sieht sich darin gern als eine Art Copperfield, der Situationskomik zaubert. Reportern will er folglich nicht so gerne in seinen Zauberkasten schauen lassen, wo der morgendliche Aktionismus entsteht und wo Langemann beschwört: ‚Diese Stadt, sie wird wach! Richtig wach!‘ Daß dabei eine Band trötet und im Hintergrund gekichert wird und ein Aufzug lärmt (,weil die Treppe kaputt ist‘), das ist tatsächlich bescheuert, aber die Leute rufen an und bedanken sich, daß ‚ein Scheiß-Tag‘ durch die Morgenshow wenigstens erträglich geworden sei. Man glaubt ihm, wie sehr er sich über dieses ‚Feedback‘ freut.
Der Münchner Radio-Revoluzzer ist noch relativ harmlos. In Frankreich entbrannte im letzten Jahr eine heftige Debatte über die Exzesse junger Moderatoren im Radio: mit Zoten über tote Polizisten und Auschwitz, politischer Satire und Pornographie prügelte sich die Branche um die Junghörer der Nation; das Radio war zum Schlachtfeld geworden. Langemann, an dessen Pinwand die Maxime hängt, daß es um Nummer eins zu werden anderer Rezepte bedürfe als um Nummer eins zu bleiben, wird er noch zum Ärgernis? Eher unwahrscheinlich.
Zwar freut er sich, daß ‚der Humor endlich losgelassen wird‘. Er. selbst liebt auch schwarzen Humor und Kalauer von Harald Schmidt, der ob seiner diskutablen Späße etwas ins Gerede gekommen ist. Langemann findet ihn witzig und schimpft wie so viele Medien-Yuppies über die Bigotterie jener Leute, die an Schmidt und die Medien moralische Maßstäbe anlegen. Anrüchiges aber kommt ihm in die Morgenshow nicht. Denn er geht von einer Philosophie aus, die er so formuliert: ‚Laß mir am Morgen meine heile Welt. Heute abend kann ich dann über ein Raucherbein lachen.‘ Heile Welt und München, schon wieder! Niedersachse Langemann hat erkannt, wieviel er hier zumuten kann.